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1 JUSTINE SIEGEMUNDIN

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FRAUEN

JUSTINE SIEGEMUNDIN

1636 – 1705

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HEBAMME UND AUTORIN

Justine Dittrich wird als Pfarrerstochter 1636 in Rohnstock in Niederschlesien geboren. Sie heiratet einen Finanzverwalter namens Siegmund. Nachdem sie wegen einer Scheinschwangerschaft behandelt wird, beschließt sie mit 20 Jahren, Hebamme zu werden. Zwölf Jahre lang hilft sie armen Bäuerinnen bei der Geburt und sammelt so praktische Erfahrungen. 1683 wird sie Stadt-Wehemutter in Liegnitz und ist bald weithin bekannt und geschätzt. Ihr Berufsweg ist für diese Zeit ungewöhnlich, denn ab 1693 schreibt die erste preußische Hebammenordnung vor, dass nur Frauen, die selbst geboren haben, als Wehemutter tätig sein dürfen.

Justines Ruf dringt bis zum Kurfürsten Friedrich Wilhelm vor, der sie 1688 als Chur-Brandenburgische Hof-Wehemutter nach Berlin beruft. Er schickt sie auch an den niederländischen Hof, wo sie die englische Prinzessin Maria II. von Oranien trifft. Die Prinzessin ermutigt Justine, ihre Aufzeichnungen zu veröffentlichen und mit Kupferstichen illustrieren zu lassen. Daraufhin legt sie ihr Manuskript drei Hofpredigern und der Medizinischen Fakultät der Universität in Frankfurt an der Oder vor. Am 18. März 1689 erhält sie dort die wissenschaftliche Anerkennung durch Testat. Unter dem Titel „Die Königl. Preußische und Chur-Brandenb. Hof-Wehe-Mutter, Das ist: Ein höchst nöthiger Unterricht von schweren und unrecht-stehenden Geburthen“ erscheint das Buch 1690 in Cölln an der Spree. Darin setzt Justine Siegemundin sich vorrangig mit „unnormalen Geburtslagen“ auseinander und erläutert erstmals den so genannten „gedoppelten Handgriff“, mit dem ein ungeborenes Kind trotz Querlage in der Gebärmutter auf die Welt gebracht werden kann. Mithilfe von Bandschlingen und inneren Handgriffen wird das Kind so gedreht, dass es mit den Füßen voran geboren werden kann. Viele eindrückliche Illustrationen von den verschiedenen Kindslagen finden sich dazu in ihrem Lehrwerk. Doch das Buch findet nicht nur Anklang: Widersacher verfassen Gegenschriften, denen Justine Siegemundin als erfahrene Hebamme jedoch einiges entgegenzuhalten weiß. Bis 1756 erreicht ihr Buch mehrere Auflagen und wird sogar ins Niederländische übersetzt. Auch unter Kurfürst Friedrich III., dem späteren ersten Preußenkönig Friedrich I., arbeitet sie weiter als Hof-Wehemutter und stirbt 1705 in Berlin. Im Laufe ihres Lebens steht sie etwa 5000 – 6200 Frauen bei der Geburt zur Seite. Ihr Lehrbuch ist bis heute ein bedeutendes Dokument der Medizingeschichte und dient lange Zeit als Standardwerk der Hebammenlehre. Zugleich ist Justine Siegemundin eine der wenigen Frauen in der Geschichte der alten Viadrina. Seit 2014 erinnert eine Tafel im Rahmen des Projekts FrauenOrte im Land Brandenburg vor der Viadrina an sie.

Frauenort-Tafel, Eingang ins Hauptgebäude der Viadrina, Logenstr. 9-10

Frauen in der Wissenschaft Wissenschaftlerinnen sind lange Zeit Ausnahmeerscheinungen, die über ungewöhnliche Zugänge ihren Weg an die Universitäten erkämpfen. Denn das allgemeine Frauenstudium wird erst 1908 im Deutschen Reich eingeführt. Engagierte Frauen setzen sich damit gegen Vorurteile der männlichen Politiker durch, dass Frauen dazu geistig nicht in der Lage seien. Die erste Studentin der Viadrina wurde erst nach ihrer Wiedereröffnung 1992 immatrikuliert. Nur 21,3% der Professuren in Deutschland sind aktuell mit Frauen besetzt (2013).